Fokus Grundschule Band 2 - Qualitat von Schule und Unterricht

Fokus Grundschule Band 2 - Qualitat von Schule und Unterricht

von: Andrea Holzinger, Silvia Kopp-Sixt, Silke Luttenberger, David Wohlhart

Waxmann Verlag GmbH, 2021

ISBN: 9783830993988 , 340 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

Windows PC,Mac OSX Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 35,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Fokus Grundschule Band 2 - Qualitat von Schule und Unterricht


 

Ursula Carle
Was ist eine gute Grundschule? Kriterien und Beispiele

1. Problemaufriss

Gute Schulen genügen bestimmten allgemein anerkannten Qualitätskriterien. Denkt man jedoch zur Abgrenzung auch an das Gegenteil, also wodurch sich eine schlechte Schule auszeichnet, wird schnell klar, dass die Beurteilung allein mit festgelegten Qualitätskriterien ungerecht erscheinen kann, würde die Schule doch ausschließlich an einem Modell gemessen, das den Kriterien zugrunde liegt.

In der Realität zeichnen sich Schulen jedoch auch durch Qualitäten aus, die durch ein übliches Bewertungsraster nicht erfasst werden. Zudem können Schulen, deren Arbeit dem Modell am nächsten kommt, im Falle einer Überprüfung ihre Leistung leichter nachweisen. Schulqualität ist somit facettenreicher als ihre Messinstrumente.

Dieses erweiterte Spektrum, das gute Schulen auszeichnet, wird vor allem im Entwicklungsprozess der Schule sichtbar. Erfolgreich erscheinen Schulen dann, wenn sie Schul- und Unterrichtsentwicklung professionell angehen, sich an den Erfordernissen des Schulalltags ebenso wie an neuen didaktischen Entwicklungen orientieren und die Ressourcen in Schule und Umfeld dafür erschließen und nutzen. Die Qualität einer Schule ist folglich auch nur relativ zu den sich ebenfalls laufend verändernden Bedingungen, unter denen die Schule arbeitet, beurteilbar. Im folgenden Beitrag gehe ich auf verschiedene Wirkungsgefüge ausgehend von der Einzelschule als Handlungseinheit näher ein und knüpfe Bezüge zu Kriterienkatalogen. Anhand von Beispielen aus einem Schulversuch verfolge ich die Frage, was Schulen in ihrem Entwicklungsprozess erfolgreich macht.

2. Gute Schule als komplexes Gefüge in Entwicklung

Kernprozess von Schule sind die Lernprozesse der Kinder. Aber bedeutet das auch, dass gute Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler bereits eine gute Schule ausmachen? Systemisch betrachtet wirken weitere Prozesse zusammen. So sind nicht nur die Schülerinnen und Schüler als Individuen, sondern auch die Lerngruppen, die Einzelschule, das Schulsystem, diverse Umfelder usw. an Schule beteiligt. Jedes dieser Teilsysteme entwickelt sich selbst weiter und dies mehr oder weniger intensiv, nachvollziehbar und verbindlich im Kontakt mit den anderen Teilsystemen. Gelingt das Zusammenspiel zuverlässig und dauerhaft , lässt das auf eine gute Kohärenz im System Schule und somit eine hohe Systemhaft igkeit schließen (Carle, 2000). Eine wesentliche Größe zur Bestimmung der Qualität einer Schule ist somit ihre Systemhaftigkeit. Sie lässt sich jedoch nicht dadurch herstellen, dass alles bis ins letzte Detail geregelt ist. Dem was Systemhaftigkeit ausmacht, lässt sich vielmehr mit folgender Frage nachgehen: Tanzt das System Schule nach einem gemeinsamen Rhythmus, der sich kooperativ weiterentwickelt und dabei alle Beteiligten mitnimmt? Und wie funktioniert das? Luis Sclavis, Jazzmusiker, beschreibt den Kooperationsprozess beim Jazz so: „Ich schließe mich einfach mit dem Background meiner Partner kurz. Es muß eine Verbindung existieren, in der sich alles von selbst entwickeln kann. Meine Aufgabe besteht nur darin, die entsprechenden Kompositionen vorzulegen und meine Stimme einzubringen. Alles andere ist ein freier Prozeß!“ (Köchl, 1999) Was taugt diese Metapher des musikalischen Zusammenspiels im Jazz, um ein Gefühl für das zu gewinnen, was die Entwicklungserfolge guter Schulen ausmacht? Oder reichen die Forschungsergebnisse während einer langen Historie der Versuche, Schule zu verbessern, bereits aus, um zu erklären, wie die Entwicklung einer guten Schule geht? Ist die Metapher also überflüssig?

2.1 Gute Schule als gesellschaftliches Jahrhundertwerk

Der kurz angerissene systemisch und konstruktivistisch zugleich geprägte Beschreibungshintergrund lässt erahnen, dass mit äußeren Schulreformen, wie z. B. der Einführung der schulartunabhängigen Orientierungsstufe seit Mitte der 1970er Jahre in Deutschland1, nicht quasi automatisch die pädagogische Arbeit verbessert wird. Diese Veränderungsversuche blieben aber auch nicht wirkungslos. So konnte durch den Abbau rechtlicher Hürden beim Zugang zu weiterführenden Schulen im gegliederten Schulsystem mit der Orientierungsstufe der Weg für mehr Chancengleichheit etwas geöffnet werden. Aber obwohl die intendierte Umsetzung des Modells schulintern eigentlich ein intensives Zusammenspiel der verschiedenen Akteure bei der Entwicklung des pädagogischen Handelns für das nunmehr verlängerte gemeinsame Lernen erforderte, überschatteten die Brüche an den Übergängen in die und aus der Orientierungsstufe und die Dominanz der Auslesefunktion der Orientierungsstufe ihre Förderpotenziale (Avenarius et al., 2001).