Alfred Adler heute. Zur Aktualität der Individualpsychologie

von: Bernd Rieken (Hrsg.)

Waxmann Verlag GmbH, 2011

ISBN: 9783830974055 , 332 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: frei

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's

Preis: 31,40 EUR

Mehr zum Inhalt

Alfred Adler heute. Zur Aktualität der Individualpsychologie


 

Alfred Adlers Sinn für Humor und Freude, List und Witz – Oder: Prinzip Ermutigung und Prinzip Lebensfreude (S. 237-238)

Alfred Kirchmayr


Zur Bedeutung von Humor in der Individualpsychologie


Zur Einstimmung

„Ermunterung ist wichtiger als Lehre.“ (Goethe) „Die Landkarten sind nicht die Landschaft .“
(De Shazer)

Sigmund Freuds geniale Studie „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ (1905) hat nicht nur für Tiefenpsychologie und Psychotherapie wichtige Anregungen gegeben. Doch diese Einsichten werden viel zu wenig beachtet. Es ist schade, dass im Mainstream der psychoanalytischen Bewegung eine eigenartige Berührungsangst gegenüber den Phänomenen Witz, List, Freude, Lachen und Humor besteht (Heisterkamp 2000).

Der Psychoanalytiker Ralph R. Greenson ist indes dem Esprit Freuds treu geblieben. Er sieht im Humor eine wesentliche Ressource für Psychotherapeuten: „Meine persönlichen Beobachtungen deuten darauf hin, dass die besten Th erapeuten unter den Psychoanalytikern eine Menge Sinn für Humor haben, schlagfertig sind und die Kunst des Geschichtenerzählens genießen“ (Frings 1996, S. 98). Zwar hat Alfred Adler nur wenige Seiten über den Witz geschrieben, aber er hatte einen ausgeprägten Sinn für die praktische Verwendung von Witzen, Humor und witzigen Anekdoten in Beratung und Th erapie (Rattner 1981; Rom 1966).

Es überrascht deshalb nicht, dass sich heute besonders Individualpsychologen wie Michael Titze und Günter Heisterkamp für die Pfl ege von Witz, Humor und Freude in der Psychotherapie engagieren (Titze und Eschenröder 1998; Heisterkamp 2000; Kirchmayr 2005; Salameh 2007). In der Zeit zwischen 1895 und 1905 hat Freud vier Wegen zum Unbewussten jeweils ein Buch gewidmet: dem neurotischen Symptom, dem Traum, den Fehlleistungen und dem Witz. Auch der Witz ist ein kleiner Königsweg zum Unbewussten. Sein Wesen besteht ja in der Überlistung der Zensur – und das geschieht oft durch die Verwendung von Anspielungen und Doppelsinn.

Im Witz kommen Bedürfnisse und Gefühle zur Sprache, die sonst mehr oder weniger verdrängt und verleugnet werden müssten (Kirchmayr 2005; 2009b). Und Freud fand 1924 in einem Brief an Oskar Pfi ster eine treff ende Metapher für eine ganzheitliche Psychotherapie: „In Wirklichkeit muss man ja doch in allen Stockwerken zugleich arbeiten“, nämlich auf der leiblichen, der emotionalen, der rationalen, der geistig-spirituellen und der sozialen Ebene (Freud und Pfi ster 1980, S. 99).

Ich bin davon überzeugt, dass die Tiefenpsychologie ihre Entstehung dem Esprit und Humor des Judentums verdankt. Denn es ist nicht zufällig, dass die Wiege der tiefenpsychologischen Psychotherapien im jüdischen Wien steht. Sigmund Freud, Alfred Adler, Wilhelm Reich, Viktor Frankl und Jakob Levi Moreno waren die wichtigsten Pioniere dieser geist- und witzreichen Bewegung der Aufk lärung und Befreiung aus neurotischem Elend und entmündigenden Herrschaft sformen aller Couleurs (Frischenschlager 1994). Das Ziel der Tiefenpsychologie besteht in einer Bewusstseinserweiterung, begleitet von Bewusstseinserheiterung. Die Tradition der Aufk lärung richtet sich gegen die vielfältige Herrschaft von ,Dunkelmännern‘. Sie fördert den Gebrauch des eigenen Lichtes der Vernunft . Dadurch können Autonomie und Lebensfreude gefördert und Formen von infantilisierender Fremdbestimmung überwunden werden.