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Mehrsprachigkeit - Diversität - Internationalität: Erziehungswissenschaft im transnationalen Bildungsraum
Rainer Wisbert
Interkulturalität und Transkulturalität (S. 19-20)
Die Bildungsentwürfe der europäischen Aufklärung sind zureichend nur zu verstehen vor dem Hintergrund von Telosschwund und Globalisierungstendenzen in der Neuzeit. Der Niedergang des teleologischen Denkens führte zur Freilassung des Menschen aus theologischer und metaphysischer Vormundschaft; Gott zog sich mehr und mehr aus der Welt zurück und überließ die Gestaltung der Welt zunehmend stärker der Menschheit selbst. Gleichzeitig dehnte sich der Erfahrungsraum der Menschen immer weiter aus und führte zu heftigen Debatten über die Gestaltungsprinzipien einer sich nun als Weltgemeinschaft fühlenden Menschheit. Die mannigfaltigen Beiträge in den staatspolitischen, universalgeschichtlichen und kulturtheoretischen Debatten der Aufklärung zur Kosmopolitismusfrage lassen sich auf zwei grundlegende Ordnungskonzepte reduzieren, einen Unitarismus, der im ‚philosophischen Zeitalter‘ in all seinen Varianten lange Zeit dominierte, und einen Föderalismus, der mit Abkehr von einer eurozentrischen Sichtweise in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zunehmend an Boden gewann.
Die Unitaristen gehen aus von der universalen Geltung einheitlicher Vernunftprinzipien, behaupten den Vorrang des Ganzen vor den Teilen, betonen dasjenige, worin alle Völker und Kulturen übereinstimmen, und verlangen, das Weltganze vom Gleichheitsprinzip her zu gestalten. Die Föderalisten halten es für unmöglich, das Weltganze auf nur einen Diskurs, eine Gleichung, eine Formel, ein Bild oder einen Mythos zu reduzieren. Sie fordern vielmehr eine Gemeinschaft der Völker und Kulturen, in der Vielfalt, Eigenart und Eigenständigkeit der Teilbereiche gesichert sind. Das Leitbild dieser sich an Vico und Montesquieu, aber auch an Leibniz orientierenden Bewegung ist die Idee der ‚Einheit in der Vielheit‘.
Ganz unterschiedliche Gefahren haben beide Ordnungskonzepte im Blick. Auf eine Gefährdung des Zusammenhalts der Weltgemeinschaft durch zu starke Gewichtung oder Verselbstständigung von Sonderinteressen lenken die Unitaristen unter den Aufklärern ihre Aufmerksamkeit und suchen folglich die Zentralgewalt zu stärken. Die Föderalisten hingegen befürchten eine Vernichtung des Singulären, sehen in allen allzu starken zentripetalen Tendenzen hegemoniale Bestrebungen, weisen hin auf die Gefahren von Fremdbestimmung und Eintönigkeit und verlangen eine behutsame Integration, bei der die einzelnen Partner weitgehend unabhängig und mitverantwortlich bleiben. Einig sind sich beide Seiten in dem Bekenntnis zu einem universalen Patriotismus und in der Ablehnung jeder Form partikularistischen oder relativistischen Denkens, dem sie vorwerfen, die gemeinsame Sache der Menschheit aus dem Blick zu verlieren und einen Egoismus zu predigen. Zumindest stellen sie die Partikularisten unter Separatismusverdacht.
Auch für Johann Gottfried Herder war die Welt universal geworden und universal neu zu entwerfen. Schon in frühen Königsberger und Rigaer Tagen beteiligte er sich lebhaft an den facettenreichen Aufklärungsdebatten, wandte sich zunächst gegen den machtpolitischen Zentralismus Preußens, die kulturellen Hegemonialansprüche Frankreichs und den universalistischen Rationalismus und später gegen ‚Schwärmerei‘, Geniekult und Empfindsamkeitsbewegung und entwickelte ein eigenes Ordnungskonzept zur Weltgemeinschaft. Seine Theorie der Bildung der Menschheit ist eine deutliche Absage nicht nur an Unitarismus und Partikularismus, sondern auch an alle starren und statischen Ordnungsvorstellungen. Herder entwickelt, so meine These, ein dynamisch föderalistisches Ordnungskonzept zur Weltgemeinschaft, in dem dem Übersetzen eine zentrale Rolle zukommt.
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