Intelligenz, Hochbegabung, Vorschulerziehung, Bildungsbenachteiligung

von: Detlef H. Rost (Hrsg.)

Waxmann Verlag GmbH, 2010

ISBN: 9783830973775 , 209 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: frei

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Preis: 26,90 EUR

Mehr zum Inhalt

Intelligenz, Hochbegabung, Vorschulerziehung, Bildungsbenachteiligung


 

4 Verschulung oder Kuschelpädagogik: Wann ist Vorschulerziehung effektiv? (S. 125-126)

Rainer Dollase Mit verbohrter Hartnäckigkeit zitieren Verbände, Parteien, Leitmedien, Autoren und angebliche Bildungsexperten die PISA-Studie als Beleg für die Forderung, Kinder früh einzuschulen bzw. den Kindergarten zu einer schulähnlichen Institution umzufunktionieren. Kuschelpädagogik sei von gestern – Verschulung sei heute.

Selbst im Jahr 2009 – nach Jahrzehnten bedingungskontrollierter Forschung zur Effektivität von Vorschulerziehung – liest man in angesehenen Zeitungen (FAZ 16.12.2009) Passagen wie „Das schlechte Abschneiden deutscher Schüler wurde damals [nach PISA, R. D.] auch mit Defi ziten in der vorschulischen Erziehung begründet, die in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich das Spielen als wichtigste Tätigkeit des Kindes bis zum sechsten Lebensjahr in den Mittelpunkt stellte.“

Und – als Kritik an den neuen Bildungsplänen – „Wer eine Art Curriculum für den Kindergarten erwartet, wird jedoch enttäuscht. Fragen wie: Wann sollen Kinder bis zehn oder 20 zählen können, wann kurze Geschichten wiedererzählen oder ein Lied auswendig singen? – werden nicht beantwortet.“ Dass sich Kindergartenträger gegen „Verschulung“ wenden, wird zumeist als Marotte der ewig Gestrigen parodiert. Übrigens: Ein Kind, das „einszweidreivierfünfsechssiebenachtneunzehn“ sagen kann, wiederholt ein langes Wort, aber kann deswegen noch nicht zählen.

Die öffentlichen Einschätzungen und Forderungen stehen in teilweise krassem Gegensatz zu praktischen Erfahrungen, lassen sich in bedingungskontrollierter Forschung kaum stützen und stehen schräg zu den historisch gewachsenen Funktionen und Möglichkeiten einer kollektiven Erziehung, Bildung und Betreuung im Kleinkindalter. Von diesem Gegensatz handelt der folgende Beitrag.

4.1 PISA begründet nicht die Notwendigkeit einer frühen Verschulung

Wieso die schlechten Durchschnittsergebnisse von Fünfzehnjährigen bei PISA darauf zurückzuführen sein sollen, dass sie als Kindergartenkinder zuwenig gefördert worden wären, bleibt ein Geheimnis. Als wenn man mit 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13 und 14 Jahren fast nichts mehr an ihrer Bildung hätte tun können. Das gedankliche Muster dieser attributiven Unterstellung orientiert sich vermutlich an der Hänschen-Hypothese: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“, welche zwar schon in den 70er Jahren und früher deutlich widerlegt werden konnte (Krapp & Schiefele, 1976) – auch im späteren Lebensalter kann Bildung und Erziehung optimiert werden. Aber das ist im Diskussions-Mainstream akademischer und publizistischer Stammtischler offenbar unbekannt (Dollase, 1979).