Der Kaufmann und die Tempelritter - Eine Kriminalgeschichte aus dem mittelalterlichen Münster

von: Jürgen Kehrer

Waxmann Verlag GmbH, 2014

ISBN: 9783830950806 , 160 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Der Kaufmann und die Tempelritter - Eine Kriminalgeschichte aus dem mittelalterlichen Münster


 

Münster, 1309

Kapitel I

Arnd Wrede ritzte Merkzeichen in eine Holzkiste. Die Kiste war gefüllt mit münsterländischer Leinwand, ebenso wie die sieben anderen, die in der Diele standen und noch markiert werden mussten. Es waren die Zeichen von Johann Kleyhorst, dem Kaufmann, für den Arnd als Handlungsgehilfe arbeitete. In der nächsten Woche, falls sich das Wetter besserte, sollten die Kisten nach Brügge gebracht werden. Mit dem Geld, das die Leinwand einbrachte, wollte Kleyhorst südländische Gewürze kaufen.

Arnd blies sich in die Hände. Es war kalt in der Diele, nach Ostern war der Frost zurückgekehrt. Und von der Wärme des Kamins, der in der Mitte zwischen Essstube und Küche brannte, war in der Halle wenig zu spüren. Andere Kaufleute stellten Eisenbecken mit glühender Holzkohle in ihr Kontor, aber Kleyhorst hielt das für zu gefährlich, wegen der alten Holzsäulen in der Halle. Arnd dagegen glaubte, dass Kleyhorst einfach nur zu geizig war, um Geld für kostbare Holzkohle auszugeben.

Dabei war Kleyhorst einer der reichsten Kaufleute Münsters. Sein Haus stand auf der Westseite der Burgmauer, am Neuen Markt oder Prinzipalmarkt, wie man neuerdings sagte. Es war ein stattliches Haus mit drei Stockwerken. Über der Diele lagen die Schlafkammern. Kleyhorst schlief mit seiner Familie selbstverständlich in der Nähe des Kamins, während sich Arnd mit der Köchin ein Zimmer an der Brandmauer teilte. Und darüber, unter dem Dach, lagerten die wertvolleren Waren.

Arnd nahm sich die nächste Kiste vor. Er freute sich auf Brügge. Zuerst hatte ihn Kleyhorst nicht mitnehmen wollen, aber Arnd hatte so lange gedrängt, bis der Kaufmann schließlich einwilligte. Immerhin befand er sich in der Ausbildung, und da wollte er nicht ewig in Münster hocken. Seitdem Münster zur Hanse gehörte, reisten münstersche Kaufleute regelmäßig nach London, Bergen, Reval* und Nowgorod. Alle diese Orte wollte Arnd noch sehen, bevor er im nächsten Jahr, an seinem sechzehnten Geburtstag, seinen Dienst bei Kleyhorst beenden würde.

Für die Zeit danach hatte er schon Pläne. Sein Onkel, der allmählich alt wurde, besaß einen Marktstand. Die Söhne des Onkels waren früh gestorben und die Töchter gut verheiratet. Sein Onkel hatte nichts dagegen, dass Arnd den Marktstand übernehmen wollte, gegen eine angemessene Beteiligung natürlich. Den Marktstand würde er so lange betreiben, bis er genügend Geld beisammen hätte, um in den Osten zu ziehen. An den Ufern der Ostsee, dort, wo die Koggen* der Hanse ankerten, waren reiche Handelsstädte entstanden. Wismar, Kolberg, Danzig, vielleicht sogar Riga, in einer dieser Städte würde sich Arnd niederlassen und sein Kontor eröffnen.

Arnd nahm das Talglicht und ging zur letzten Kiste. Das alles lag in weiter Ferne. Doch Brügge würde er in wenigen Wochen wiedersehen. Einmal war er schon dort gewesen und hatte die vielen, in die seltsamsten Gewänder gekleideten Kaufleute bestaunt, die aus Genua oder Venedig, London oder Gotland kamen. In den anderen Kontoren der Hanse, hatte Kleyhorst erzählt, wohnten die deutschen Kaufleute gemeinsam unter einem Dach. Es gab den Stalhof in London, die Deutsche Brücke in Bergen und den Petershof in Nowgorod.

Arnd richtete sich auf. Seine Beine waren fast taub vor Kälte. Der Frost kroch durch die Fliesen, die den Boden der Diele bedeckten. In Brügge hatten sie bei einem flämischen Kaufmann gewohnt, dessen Haus mit echten Glasfenstern ausgestattet war. Die bunten Glasscheiben ließen viel mehr Licht ins Innere als die dünnen Tierhäute, die man in Münster üblicherweise vor die Fenster spannte. Aber das Erstaunlichste, der für Arnd größte Ausdruck von Luxus war die Tatsache, dass der Flame seine Teppiche von den Wänden genommen und auf den Boden gelegt hatte. So etwas sollte er mal Kleyhorst vorschlagen. Der würde ihn für verrückt erklären.

Als hätte ihn der Gedanke herbeigerufen, kam die hagere Gestalt des Kaufmanns aus der Essstube. Kleyhorst war bereits an die vierzig Jahre alt, sein langes, größtenteils ergrautes Haar hing bis auf die Schultern und aus dem hohlwangigen, glatt rasierten Gesicht ragte eine spitze Nase. Bei einer Reise nach Nowgorod hatte sich Kleyhorst in den Sümpfen des Volchow eine Krankheit geholt, die in regelmäßigen Abständen wiederkehrte und ihn mit Fieberschüben überfiel. Tagelang war er dann ans Bett gefesselt und anschließend nicht nur geschwächt, sondern auch leicht reizbar. Alle Versuche der Bader*, ihn von der Krankheit zu befreien, ob durch Aderlass, kalte Wadenwickel oder streng riechende Kräuter, waren erfolglos geblieben.

Der Kaufmann starrte Arnd aus fiebrig glänzenden Augen an. Der letzte Ausbruch der Krankheit lag noch nicht lange zurück.

„Wenn du mit den Kisten fertig bist ...“

„Sie sind alle mit Euren Markenzeichen versehen“, sagte Arnd stolz.

„Gut. Dann habe ich noch einen Auftrag für dich.“

„Aber ...“

„Du kannst später essen. Ich werde dafür sorgen, dass genug übrig bleibt.“

Arnd nickte mürrisch.

„Du weißt doch, dass ich mein Haus in der Nähe der Ludgerikirche an zwei Kaufleute vermietet habe“, redete Kleyhorst weiter. „Die beiden brauchen Kaminholz. Anscheinend heizen sie den ganzen Tag, von früh bis spät. Nun gut, sie zahlen dafür, und mir soll’s egal sein. Schnapp dir ein Bündel und bring es ihnen!“

„Kann das nicht Bernd erledigen?“, wandte Arnd ein. Als Stallknecht war Bernd für die niederen Arbeiten zuständig.

Die heisere Stimme des Kaufmanns wurde schärfer. „Bernd hat etwas anderes zu tun. Wenn du dich beeilst, bist du noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück. Also los!“

Arnd wusste, dass weiterer Widerspruch zwecklos war. Außerdem hatte er keine Lust, seinem Lehrherren den wahren Grund für seine Weigerung zu erzählen. Er war nämlich mit Grete in der Lambertikirche verabredet. Und das ging Kleyhorst gar nichts an.

Der Handlungsgehilfe füllte eine Karre mit Kaminholz und öffnete die Tür. Eisiger Wind schlug ihm entgegen. Vielleicht würde Grete ja auf ihn warten. Er schaute zum Himmel. Noch rund eine Stunde blieb es hell. Zum Glück wurden die Tage wieder länger.

 

Immerhin hatte der Frost auch sein Gutes, man watete nicht bis zu den Knöcheln im Dreck. Längst nicht alle Häuser besaßen Jauchegruben im Garten, und die Schweine- und Rinderherden, die täglich durch die Stadt getrieben wurden, hinterließen ebenso wie die Reitpferde ihre Spuren. Ganz zu schweigen von den Bettlern und dem fahrenden Volk, das im Freien herumlungerte. Kam dann noch Regen hinzu, verwandelten sich die Gassen in stinkende, glitschige Kloaken aus Kot und Abfällen.

Jetzt war die Oberfläche gefroren und Arnd kam mit dem Karren gut voran. Er nahm die Straße, die nach Süden zum Ludgeritor führte. Nicht weit vom Tor entfernt lag die Ludgerikirche.

Arnd dachte an die beiden Fremden. Er hatte sie gesehen, als sie mit Kleyhorst in der Stube saßen. Abweisend und verschlossen hatten sie gewirkt, gar nicht wie die anderen Kaufleute, die Arnd kannte. Alles an ihnen war ungewöhnlich. In ihrer Begleitung befanden sich keine Diener, und Waren hatte er auch nicht entdeckt.

Als er so darüber nachsann, kamen ihm die Männer richtig unheimlich vor, besonders der eine, der statt einer Nase ein Loch im Gesicht hatte. Das musste nicht unbedingt etwas bedeuten. Arnd wusste, dass man in manchen Gegenden Dieben die Nase abschnitt. Aber der Mann konnte seine Nase auch bei einem Streit oder in einem Krieg verloren haben.

Trotzdem fühlte er sich etwas unbehaglich, als er sich dem kleinen Haus näherte. Kleyhorst besaß noch drei weitere Häuser in Münster, der Fernhandel war ein einträgliches Geschäft.

Arnd klopfte an die Tür, eine tiefe Stimme forderte ihn auf einzutreten.

Der Nasenlose war nicht zu sehen. Der andere Mann saß neben dem Kamin, in dem ein paar abgebrannte Holzscheite glimmten.

„Ah, da ist ja das Holz.“

„Mit den besten Grüßen von meinem Herrn“, sagte Arnd.

Er begann, die Karre zu entladen. Der Kaufmann machte keine Anstalten, ihm zu helfen.

„Ich bin Kaufmannsgehilfe.“ Arnd überspielte seine Unsicherheit. „Im nächsten Jahr werde ich meine Ausbildung beenden. Dann will ich mich selbstständig machen.“

Der Mann antwortete nicht. Er hatte zwei Holzscheite in den Kamin gelegt und blies in die Glut, um das Feuer neu zu entfachen.

Der Junge konnte seine Neugier nicht beherrschen. „Mein Herr sagt, dass Ihr auch Kaufleute seid. Darf ich fragen, womit Ihr handelt?“

„Mit Edelsteinen“, murmelte der Mann am Kamin.

„Mit Edelsteinen? Wie aufregend.“

„Ja.“ Der Mann richtete sich auf. „Mit seltenen Edelsteinen aus dem Orient.“ Er schlug seinen Umhang zurück, unter dem ein Krummdolch sichtbar wurde, der am Gürtel hing. „Ein gefährliches Geschäft. Wir müssen jederzeit darauf gefasst sein, dass man uns überfällt. Deshalb mögen wir es gar nicht, wenn man uns ausfragt.“

„Oh!“ Arnd trat einen Schritt zurück. „Dann ... dann will ich Euch nicht länger aufhalten.“

 

Die Dämmerung hatte längst eingesetzt, und abgesehen von einigen Kerzen, die den Altar erhellten, war es in der Lambertikirche recht finster. Nachdem sich Arnds Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, entdeckte er zwei alte Weiber, die im Mittelschiff knieten. Ansonsten schien die Kirche leer zu sein. Enttäuscht wollte er sich schon abwenden, als er eine Bewegung neben einer Säule bemerkte. Er schaute genauer hin und sah ein Stück von einem Kleid....