Tod im Friedenssaal - Eine Kriminalgeschichte aus der Zeit des Westfälischen Friedens

von: Jürgen Kehrer

Waxmann Verlag GmbH, 2014

ISBN: 9783830950691 , 158 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Tod im Friedenssaal - Eine Kriminalgeschichte aus der Zeit des Westfälischen Friedens


 

Erstes Kapitel

Freigraf Bernd Ketteler betrachtete den Polizeidiener mit der stillen Wut eines Mannes, der um seine verdiente Ruhe gebracht wurde. Er hatte am Abend ein gehöriges Stück Braten vertilgt und dazu etliche Becher Wein gekippt. Jetzt saß er am Kaminfeuer, fühlte sich müde und schwer, und der einzige Gang, den er noch beabsichtigte, war der zu seinem zehn Fuß entfernten Bett. Nichts, aber auch gar nichts verlockte ihn zu einem Marsch durch den Sturm und die Kälte des münsterschen Winters.

Ketteler nahm die Tonpfeife aus dem Mund und paffte eine Tabakwolke in die Luft. „Eine Leiche ist doch nichts Besonderes. Fast jeden Tag liegt eine Leiche herum. Warum behelligst du mich damit?“

„Der Mann ist ermordet worden, Herr Freigraf“, sagte der Botmeister.

„Na schön.“ Ketteler griff zu dem Zinnbecher, der neben seinem Stuhl stand, und nahm einen Schluck Wein. „Er ist also ermordet worden. Auch das kommt vor. Habt ihr den Täter gefaßt?“

„Nein“, gab der Botmeister zu.

„Hat ihn vielleicht jemand gesehen? Kennt man seinen Namen?“

„Nein.“

„Was soll ich dann, deiner Meinung nach, tun? Es ist dunkel, wie du bemerkt hast. Und bei dem Regen ist es ohnehin schwierig, irgendwelche Spuren zu finden. Der Mörder sitzt längst zu Hause und wärmt sich seine Füße am Kamin. Schafft die Leiche beiseite! Ich werde sie mir morgen früh ansehen.“

Der Botmeister starrte auf seine schmutzigen Stiefel. Es war ihm sichtlich unangenehm, widersprechen zu müssen.

„Der Sergeant hat mir befohlen, Euch zu holen. Es ist nämlich so: Der Sergeant glaubt, daß es sich bei der Leiche um einen Ausländer handelt.“

Ketteler rülpste und verschüttete etwas Wein auf sein Wams. Ein Ausländer. Womöglich ein Mitglied einer Gesandtschaft. Die Sache roch nach Unannehmlichkeiten.

„Teufel auch! Wie kommt der Sergeant darauf?“

„Der Tote hat eine dunkle Haut, und er ist fremdländisch gekleidet. Außerdem hat er vor seinem Tod in einer unverständlichen Sprache geredet, sagt der Torwächter von Michaelis.“

Der Freigraf horchte auf. „Der Torwächter von Michaelis, sagst du? Dann ist der Ausländer also auf dem Domplatz gestorben? Guter Mann, weißt du nicht, daß die Stadt für die Domimmunität nicht zuständig ist. Gebt dem Domdechanten Mallinckrodt Bescheid! Er soll sich um die Angelegenheit kümmern.“

Der Botmeister duckte sich wie ein geprügelter Hund. „Ich gebe nur weiter, was man mir aufträgt.“

„Natürlich.“ Ketteler steckte vergnügt seine Pfeife in Brand. Der Kelch war noch einmal an ihm vorübergegangen.

„Dein Sergeant ist wohl neu hier, wie? Bestellt ihm einen schönen Gruß von mir!“

„Es ist nicht nur der Sergeant. Ein Domherr hat sich die Leiche angesehen. Und er meint, daß in diesem Fall die städtische Gerichtsbarkeit ...“

Der Freigraf erhob sich wütend. „Verflucht nochmal! Liegt die Leiche nun auf dem Domplatz oder nicht?“

„Ja und nein. Die Beine liegen auf dem Domplatz, aber der Oberkörper liegt auf städtischem Gebiet. Und der Mann ist an einem Pfeil gestorben, der ihn im Herzen getroffen hat.“

„Johan!“ brüllte Ketteler. Der Ärger hatte ihn auf einen Schlag ernüchtert. Mit festen Schritten ging er durch die Diele, schnappte seinen Pelzmantel vom Haken und setzte sich den breitkrempigen Hut auf. Dem herbeigeeilten Diener befahl er, mit einer Fackel voranzugehen. Grimmig und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, nahm Freigraf Bernd Ketteler, der Untersuchungsrichter der Stadt Münster, seinen Dienst auf.

 

Dem Unwetter trotzend, stand eine Gruppe von Männern um die Leiche herum. Ketteler begrüßte den Domherrn und den Sergeanten, dann ging er ächzend in die Knie, um die Leiche näher zu betrachten. Er hatte die Torwächter, die im Dienst der Kirche standen, im Verdacht, die Lage der Leiche verändert, sie ein Stück vom kirchlichen auf das städtische Gebiet gezogen zu haben. Doch das nützte ihm jetzt nichts mehr. Ketteler war der oberste Polizist von Münster, und auf seinen Schultern ruhte die Verantwortung, diesen Mordfall aufzuklären.

Obwohl die wächserne Leichenblässe sie heller erscheinen ließ, war die ursprünglich olivfarbene Haut des Mannes noch gut zu erkennen. In seinem Gesicht lag ein Ausdruck des Erstaunens, wie bei vielen, die von einem plötzlichen Tod überrascht werden. Ketteler drückte die Augenlider des Toten nach unten. Er mochte keine Leichenaugen.

Unglücklicherweise schien der Sergeant mit seiner Vermutung recht zu haben. Die dunkle Haut, die schulterlangen, schwarzen Haare, die Kleidung im spanischen Hofstil – alles deutete darauf hin, daß es sich bei dem Toten um einen Südländer handelte. Ein Spanier oder ein Portugiese, vielleicht auch ein Italiener. Die Spanier und die Portugiesen waren in Münster mit Delegationen vertreten, Italiener gab es im Gefolge der beiden Friedensvermittler, des päpstlichen Nuntius Chigi und des venezianischen Botschafters Contarini.

Der Tote hielt noch immer den Pfeil umklammert, der in seinem Herz steckte. Ketteler löste behutsam die Finger, die Leichenstrarre hatte noch nicht eingesetzt. Die Hand gab einen kurzen Armbrustpfeil frei, wie er häufig bei der Jagd verwendet wurde. Die Armbrust war fast genauso treffsicher wie ein Gewehr, allerdings lautlos. Ein bedeutender Vorteil, wenn man durch einen einzigen Schuß nicht sämtliche Tiere in der Umgebung verscheuchen wollte.

Ketteler bewunderte im Stillen die Treffsicherheit des Mörders. In der Dunkelheit einen solchen Schuß abzugeben, erforderte großes Können – oder Glück. Der Einschuß hatte unmittelbar zum Tod des unbekannten Mannes geführt, deshalb war an der Brust auch nur wenig Blut ausgetreten. Anders verhielt es sich mit der zweiten Verletzung. Der rechte Unterarm des Unbekan nten leuchtete im Fackelschein rot wie ein abgeschlagener Stumpf. Blut und Regenwasser hatten den Ärmel bis zum Ellbogen eingefärbt.

Ketteler zog sein Messer aus der Scheide und schlitzte den Hemdsärmel auf. Darunter kam eine klaffende, vier Zoll lange Schnittwunde zum Vorschein.

Der Freigraf richtete sich auf. Seine Stimme klang fest und bestimmt: „Hat jemand mit dem Mann gesprochen, bevor er starb?“

Der Torwächter meldete sich. Ketteler befahl ihm, alles zu erzählen, was er gesehen und gehört habe, und nichts auszulassen.

„Das könnt Ihr Euch sparen“, sagte der Sergeant. „Ich habe den Wächter bereits befragt. Er wird Euch nicht weiterhelfen.“

Mit einem abschätzigen Blick musterte der Freigraf den Sergeanten. „Habe ich dich um deine Meinung gefragt? Hier leite ich die Untersuchung, ist das klar?“

Der Sergeant nahm Haltung an.

„Wie ich höre“, mischte sich der Domherr mit einer hohen Altherrenstimme ein, „habt Ihr akzeptiert, daß der Mord in die städtische Gerichtsbarkeit fällt. Ich darf mich daher zurückziehen, wenn Ihr erlaubt.“

Der Freigraf ließ sich nicht anmerken, daß er innerlich vor Wut kochte: „Ich bin davon überzeugt, daß der Elende auf der Domimmunität verstorben ist, aber ich will mit Euch darüber keine Streiterei anfangen.“

„Wollt Ihr behaupten ...“, brauste der Domherr auf.

„Seht Ihr die Blutspur dort?“ Ketteler wies auf das Pflaster. „Das Opfer ist mindestens sechs Fuß gezogen worden. Für dieses Mal lasse ich das noch durchgehen. Aber versucht eine solche Sauerei nicht noch einmal mit mir!“

Der Domherr kaute an einer Erwiderung, drehte sich dann um und schritt würdevoll davon.

„Und nun zu dir!“ bellte der Freigraf in Richtung Torwächter. „Fang endlich an zu erzählen!“

Vor Angst schlotternd, begann der Torwächter zu reden. Als er geendet hatte, vergewisserte sich Ketteler: „Du hast also kein Wort von dem verstanden, was der Mann gesagt hat?“

„Nein, er redete ja in dieser fremden Sprache.“

„Hast du gesehen, woher der Schuß kam?“

„Dazu war es viel zu dunkel.“

„Und wie konnte der Mörder sein Opfer erkennen?“

„Ich weiß es nicht.“ Der Torwächter zuckte zusammen. „Vielleicht beherrscht er die schwarze Magie.“

Ketteler lachte. „Unfug! Ich habe noch keinen Mord gesehen, der auf übernatürliche Weise zustande kam. Der Teufel hebt seine Kraft für wichtigere Dinge auf. Los! Wir machen jetzt ein kleines Spiel. Der Sergeant ist der Unglückselige, der seinem Tod entgegengeht. Und du, Torwächter, wiederholst dieselben Schritte und Bewegungen, die du gemacht hast, als das echte Opfer auf dich zukam!“

Der Sergeant war wenig angetan von seiner Rolle, aber er fügte sich in sein Schicksal. Er ging ein Stück auf den Domplatz hinaus und rannte dann, mit den Armen rudernd und um Hilfe rufend, zum Michaelistor. Der Torwächter trat aus dem Tor und sprach kurz mit dem Sergeanten, der sich theatralisch auf das Pflaster fallen ließ.

Mit zusammengekniffenen Augen hatte der Freigraf das Schauspiel verfolgt. Doch so sehr er auch nach einer Lösung suchte, er fand keine Erklärung für den zielgenauen Schuß des Mörders. Während sich der Sergeant den Dreck von der Uniform wischte, trat Ketteler zu den beiden Männern.

„Du bist sicher, daß du nichts vergessen hast?“ fragte er den Torwächter.

„Nein, bestimmt nicht.“

„Vielleicht hattest du etwas in der Hand?“

„Nur eine Fackel.“

„Du Idiot!“ Ketteler stampfte mit dem Fuß auf den Boden. „Und wo ist die...