Das Wirtshaus in der Davert - Eine Geschichte in sieben Gängen. abgeschmeckt mit Rezepten von Björn Freitag

von: Eva Maaser

Waxmann Verlag GmbH, 2014

ISBN: 9783830950707 , 240 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 19,99 EUR

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Das Wirtshaus in der Davert - Eine Geschichte in sieben Gängen. abgeschmeckt mit Rezepten von Björn Freitag


 

DAS WIRTSHAUS IN DER DAVERT

Eine wild wuchernde Eibenhecke bedrängte das alte Gasthaus von zwei Seiten, und auf der Schlaglochpiste, die hundert Meter weiter mitten im Wald endete, wuchs schütteres Gras, das an die nachwachsenden Haare von Toten gemahnte. Es hatte ganz den Anschein, als führe der Weg hierhin, aber keinesfalls wieder zurück. Hier und da ragten Steine mit saftigen Moospelzen aus dem Gras und das eine oder andere, von Liebhabern schwüler Träume geschätzte Hexenei, aus dem sich in wenigen Stunden ein Prachtexemplar von Stinkmorchel erheben würde.

Rechts und links am Wegesrand umarmten sich Erlen, Pfaffenhütchen und Tollkirschen, dahinter kündeten ein paar schief stehende Schwarzpappeln verhalten fröhlich von einer wasser- und sumpfreichen Gegend, die Fledermäusen und Eulen idealen Unterschlupf bot und zudem eine Heimstatt für Nachtschattengewächse und alle Wesen war, die es feucht, kalt und schleimig mochten.

Nahe beim Haus lag ein korrekt aufgeschichteter, aber vor Jahren schon vergessener Holzstapel aus kurzgesägten Stämmen und moderte vor sich hin. Aus seinem Innern brachen leuchtende Schwefelporlinge hervor, und im Fäulnisgeruch dieser einsamen Idylle schwangen Aromen mit, an denen jeder ökologisch orientierte Giftmischer seine Freude gehabt hätte.

Aus der Ferne klang das Hämmern eines Waldarbeiters herüber, der mit spitzem Schnabel entweder eine geräumige Spechtwohnung in einem halbwegs morschen Baum einrichtete oder ein paar Maden für sein Abendmahl herausklopfte. Zwei grämliche alte Eichen bewachten den Eingang des Wirtshauses und unternahmen mit ein paar letzten bunt verfärbten Blättern den rührenden Versuch, Herbstgoldstimmung zu verbreiten.

Das Haus war eines dieser kaninchenbauartigen Gemäuer, an die Generationen von Besitzern mit keineswegs übereinstimmendem Geschmack Türmchen, Seitenflügel, Erker und jede Menge rustikale Kamine angeflickt hatten, so dass sich die Front weder einheitlich noch geschlossen darbot. Immerhin hatte sich der Eingang über viele Jahrzehnte hinweg an der gleichen Stelle behaupten können.

Obwohl auf den Buchstaben über der breiten Eichentür eine schillernde, glitschige Schicht aus Moos und Flechten klebte, ließ sich mit genügend Ausdauer im tröpfelnden Nieselregen die ein wenig lückenhafte Inschrift „ZU… SPÖK…NKIE…“ entziffern. Wer den Blick dann senkte, entdeckte in der Tür ein kleines ovales Fensterloch mit Butzenscheibchen, das im Dämmerlicht wie ein gefleckter Krötenbauch schimmerte, und noch weiter unten eine nicht sehr fachkundig angebrachte Katzenklappe.

Auf der modrigen Fußmatte lagen fünf angelaufene, verschnörkelte Messingbuchstaben: ein M, zwei Es, ein K und ein R.

Schon von draußen hörte man ein hohl klingendes Ticken, und war man eingetreten, fiel der Blick sofort auf die behäbige Standuhr, die sich mit breit auseinanderstehenden Klauenfüßen wie ein Betrunkener mühsam in der Senkrechten zu halten suchte. Zunächst einmal überraschte die Weitläufigkeit dieser Diele, in der es nach Staub und Mäusekötteln roch.

Schräg gegenüber dem unbesetzten Empfangstresen befand sich ein wackliger Garderobenständer aus ineinandergesteckten Hirschgeweihen, die aus einem bestimmten Blickwinkel wie ein menschliches Gerippe aussahen, das sich selbstherrlich in die Brust warf. Ansonsten war die Halle so gut wie unmöbliert, wirkte aber dadurch umso gediegener. Nur drei angestaubte Sessel mit stark verblichenem Bezug duckten sich in der Nähe der in den oberen Stock führenden Treppe um ein Tischchen mit gedrechselten Beinen. Und natürlich fiel jedem die schneeweiße Gans auf, die den Geländerpfosten bekrönte.

Eine der vielen Türen führte direkt in die Küche. Selbst für ein Landlokal mit übersichtlicher Speisekarte war sie nicht sonderlich geräumig, und die ganze Ausstattung machte einen recht zusammengeschusterten Eindruck.

An einer Anschlagleiste über dem Herd klebten Zettel, die vor Feuchtigkeit Wellen schlugen. Auf den ersten hatte jemand „Kanin. in Rotw.sauce“ gekrakelt. Und dieser Zettel bewegte sich unverhofft in einem scharfen Luftzug, als hätte jemand die Haustür geöffnet.

Aus der Diele waren jetzt dumpfe Schritte auf den abgetretenen blassroten Bentheimer Sandsteinplatten zu hören, in der Küche dagegen herrschte Stille, obwohl sich zwei Männer darin aufhielten. Der eine reckte nun sein von Sorgen zerfurchtes Gesicht einen Moment in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, zuckte die Achseln und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Küchentisch.

Lang ausgestreckt auf der schönen, sauber geschrubbten Buchenholzplatte lag der zweite Mann, gekleidet in das typische weiße Kochgewand mit schwarzen Knöpfen, die Hände untätig über der Leibesmitte gefaltet. Das musste jedem seltsam erscheinen, der den Blick über die Prunkgefäße der Kochkunst schweifen ließ – die Wurstkessel, Henkeltöpfe und wannengroßen Bratreinen, – die zu dieser Uhrzeit mit Grünkohleintopf, Leberbrot oder zumindest einer schönen, in Schmalz schmurgelnden Portion Panhas gefüllt sein sollten.

Der Mann, dem das Haus gehörte, stützte müßig die Hände auf das Stück Tischkante, das der stattliche Körper des Kochs freiließ, seufzte bekümmert auf und schauderte ein wenig, als würde ihm immerhin bewusst, dass die Kühle im Raum sich bedenklich der Gefriergrenze näherte – was in einer Küche immer ein bisschen unnatürlich wirkt. Als dann mit einem energischen Ruck die Tür aufschwang, schaute er fast erleichtert auf.

Der Besucher, der unruhig hereinspähte, wartete, bis er dem Blick des Wirts begegnete, und trat dann mit raschen Schritten ein. Wuscheliges lohbraunes Haar fiel ihm in die Stirn, was ihn jungenhaft, unkompliziert und fröhlich erscheinen ließ, aber seine Bewegungen hatten etwas an sich, das an herumhuschende Ratten erinnerte.

Leider hörten die Geräusche von draußen mit seinem Eintreten nicht auf, jetzt klang es sogar, als hätte sich eine ganze Gruppe von späten Gästen ins Haus gedrängt – möglicherweise eine Jagdgesellschaft, denn irgendwer trampelte in der Diele richtiggehend herum. Kehliges Gemurmel drang von dort herüber, Husten und Räuspern.

Als die Küchentür erneut aufschwang, traten gleich fünf von herbstlicher Feuchte umwehte Leute herein, was der Theorie des Wirts von der Jagdgesellschaft erst einmal neue Nahrung verlieh. Allerdings hatte sich keine angemeldet, was Jagdgesellschaften sonst immer taten, wussten sie doch, dass schon ein einziger Abschuss von Reh-, Rot- oder Schwarzwild den Appetit anheizte – und die Fehlschüsse noch mehr.

Aber in den letzten Stunden hatte es im Wald weder geknallt, noch war das wilde Getöse einer Treibjagd bis zum Gasthaus gedrungen. Die neuen Gäste sahen sich erst einmal verwundert, fast scheu in der Küche um und näherten sich schließlich zögerlich dem Tisch in der Mitte. Eine hübsche junge Frau in einem knapp sitzenden burgunderroten Wollkostüm und Sneakers aus Reptilienleder, rieb sich fröstelnd die Oberarme.

Auf einmal verschwammen die Konturen der Leute vor den Augen des Gastwirts, während er mit einem unerklärlichen Schwächeanfall rang. „Es tut mir wirklich sehr leid“, sagte er mit heiser krächzender Stimme, „und ich schäme mich, es zu sagen, aber da ist wirklich nichts zu machen: Heute bleibt die Küche kalt“, fuhr er geradezu gedemütigt fort, so dass er den Gästen leidtun musste.

„Na so was!“, rief einer von ihnen überrascht.

„Wegen des Kochs? Was ist mit ihm passiert?“ Eine solide gekleidete alte Dame trat an den Tisch, betrachtete die lang ausgestreckte Gestalt und tätschelte ihr mit einer sanften, mitfühlenden Geste die Hand. „Er sieht sehr gut aus, nicht wahr? Ich mag große, stattliche Männer“, setzte sie leise hinzu und errötete leicht.

„Ich habe heute nicht mit Gästen gerechnet“, erklärte der Wirt, er wollte noch etwas hinzufügen, stockte jedoch, weil die Uhr in der Diele zu rasseln und zu rattern begann. Stöhnend schlug sie fünf Mal. „Die Uhr“, murmelte er verstört, „hätte auch längst geölt werden müssen.“

Die beiden Damen konnte er sich nicht mit einer abgeknickten Schrotflinte über dem Arm vorstellen, sie wirkten zu städtisch. Auch die Herren schätzte er – bis auf einen – als gediegene Anzugträger ein, die wahrscheinlich einen Dachs nicht von einem Waschbären unterscheiden konnten.

„Was?“, fragte der zuerst eingetretene Gast nach.

„Die Uhr …“

„Hören Sie bloß mit der Uhr auf!“, wandte der Mann ein und musterte ihn stirnrunzelnd. „Ist das nun ein Gasthaus oder nicht? Also, wie steht’s mit ein paar leckeren Happen?“

„Haben Sie keine Augen im Kopf?“, mischte sich die zauberhafte junge Frau in den Sneakers mit kaschmirweicher Stimme ein. Es war eine dieser Sirenenstimmen, die überraschend leicht erotische Fantasien hervorrufen. „Sehen Sie nicht, dass der Koch tot ist? Jedenfalls hält er hier auf dem Tisch bestimmt kein Nickerchen.“

Einer der Herren betrachtete sie so versonnen lächelnd, als habe er überhaupt nicht mitbekommen, was sie gesagt hatte.

„Aber warum denn nicht?“, meldete sich die alte Dame zu Wort. „Vielleicht war er müde“, setzte sie hinzu und streichelte wieder hingebungsvoll die Hand des Kochs. „So eine Tischplatte ist gut fürs Rückgrat, wussten Sie das?“

„Er sieht aus wie Schlachtvieh“, warf der zuerst Eingetretene ironisch ein. „Aber mal ehrlich: Ich sehe hier nichts Essbares – oder?“

Verstohlen musterten einige den...