Einführung in didaktisches Denken

von: Martin Fromm

Waxmann Lehrbuch, 2014

ISBN: 9783830950745 , 125 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

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Einführung in didaktisches Denken


 

3. Das didaktische Bedingungsgefüge

Die minimal erforderlichen Grundbestandteile des Vermittlungsprozesses, in dem einem Menschen von einem anderen etwas beigebracht wird, sind offensichtlich der Inhalt, der vermittelt werden soll, die Person, der etwas beigebracht werden soll, und derjenige, der es beibringt. Das Beschreibungsmodell dieses minimalen Bedingungsgefüges ist das sogenannte „Didaktische Dreieck“.

Abbildung 2:   Didaktisches Dreieck

Natürlich lässt sich dieses Bedingungsgefüge beliebig ergänzen und differenzieren. Der Reiz des didaktischen Dreiecks besteht aber gerade in der Reduktion und Konzentration auf die notwendigen Bestandteile.

Eine Ergänzung soll hier allerdings doch vorgenommen werden, die um den Rahmen, in dem diese Vermittlung stattfindet, im Schaubild symbolisiert durch den Kreis um das Dreieck herum. Er beinhaltet alle Rahmenbedingungen, unter denen Unterricht stattfindet.

Abbildung 3:   Didaktisches Dreieck/Rahmen

3.1  Der Rahmen

Das didaktische Dreieck befasst sich in seiner Grundform mit der Beziehung zwischen Inhalt, Lernendem und Vermittelndem. Wie diese Beziehung gestaltet werden kann, ist allerdings beeinflusst oder sogar weitgehend festgelegt durch die Rahmenbedingungen, unter denen Lernender und Vermittler zusammenkommen. Didaktische Reflexion fragt danach, welche Einflüsse das sind und wie sie die Vermittlungsarbeit beeinflussen. Genauer wäre allerdings: Sie müsste sich damit befassen, hat das erstaunlich oft nicht getan.

Für uns heute ist die professionalisierte und institutionalisierte Vermittlung von Kenntnissen und Haltungen selbstverständlich, dass Kinder zur Schule gehen, Erwachsene Schulungen mitmachen und hierfür natürlich Fachleute zuständig sind, die in speziellen Studiengängen und Ausbildungen gelernt haben, begründete Konzepte für solche Maßnahmen zu entwickeln und durchzuführen. Um die Nicht-Selbstverständlichkeit didaktischen Denkens deutlich zu machen, ist es hilfreich, in der Zeit bis zum Beginn didaktischen Denkens zurückzugehen – und sich dann anzusehen, was sich seither geändert hat.

In Darstellungen der historischen Entwicklung der Pädagogik/Erziehungswissenschaft und speziell der Didaktik gibt es so etwas wie die Stunde Null, zu der planmäßige Erziehung und Unterricht notwendig wurden. Davor waren sie nicht erforderlich, was man wissen, tun und empfinden musste, konnte man durch das Leben im jeweiligen sozialen Kontext durch Umgang und Erfahrung erwerben.

Üblicherweise wird der Zeitraum, in dem dieser Übergang stattgefunden hat, mit der Epoche der Aufklärung angegeben, die in Europa grob vom Beginn bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eingegrenzt werden kann. Solche Festlegungen sind natürlich grundsätzlich verhandlungsfähig: Irgendwo gibt es immer Vorläufer, Vorformen, Varianten, Modifikationen. Das bedeutet: Derartige Eingrenzungen sind nur durch Vereinfachung und selektive Ignoranz zu haben. In Abhängigkeit davon, welche Kriterien man anlegt, kann man die Geschichte der Didaktik ebenso gut auch früher oder später beginnen lassen.

Welche historischen Vorläufer man für erwähnenswert und stilbildend ansieht, hängt natürlich auch davon ab, wie weit oder eng man das Didaktikverständnis wählt. Wenn man beispielsweise nur die begründete Auswahl von Inhalten zur Aufgabe der Didaktik rechnet, wie das in der didaktischen Analyse der frühen bildungstheoretischen Didaktik der Fall war, wird man andere (und weniger) Vorläufer finden als im Fall eines weiteren Verständnisses, das auch die Beschäftigung mit Medien, Methoden usw. einbezieht.

Hier wurde Didaktik als ein wissenschaftliches Aussagesystem eingeführt, das sich auf einer Metaebene mit der Vermittlung und dem Lernen befasst. Danach ist Didaktik noch nicht die Vermittlung von etwas, auch nicht allein ein Verfahren der Vermittlung, sondern die Reflexion darüber. Didaktisches Denken beginnt entsprechend dort, wo sich die Vermittlung über das Vormachen und Nachmachen hinausentwickelt und eine Metabetrachtung darüber einsetzt, was wie vorzumachen und nachzumachen wäre. Dazu gehört nicht nur die Angabe und Durchsetzung einer verbindlichen Vorschrift „So machen wir das hier!“, sondern die Reflexion darüber, was man wie vermitteln will.

Wenn Didaktik so definiert wird, haben vor jeder didaktischen Reflexion immer schon unzählige Vermittlungsprozesse stattgefunden und finden weiter ohne jede Didaktik statt. Und das gilt nicht nur für den menschlichen Bereich. Je höher die Entwicklungsstufe bei Tieren ist, desto unfertiger, schutzbedürftiger und auf Anleitung angewiesener kommen sie zur Welt. So müssen z.B. Raubtierjunge von ihren Eltern lernen, wie man jagt. Und wie es geht, wird ihnen nicht nur modellhaft vorgemacht, sondern z.B. auch durch bereits geschwächte Beute zur Übung vorgegeben. Der Zweck ist klar, der Ablauf zweckentsprechend, aber eben nicht reflektiert – und daher auch nur in sehr engen Grenzen, aber nicht prinzipiell variabel.

Auch für den menschlichen Bereich gilt: Sehr viele Vermittlungsprozesse, zunächst insbesondere in der Familie, laufen vorbewusst routinemäßig (im Tierreich: instinktiv) ab, ohne Planung und erst recht ohne Metabetrachtung. Kinder lernen durch den Umgang (wie Herbart es formuliert hätte), was man wie tut und sagt. Dieser Prozess ist üblicherweise von Versuch und Irrtum geprägt, d.h.: durchsetzt mit Fehlern und Peinlichkeiten. Nur ein kleiner Teil dessen, was man vermitteln will, ist auch intendiert und ein noch kleinerer Teil auf einer Metaebene reflektiert. Das gilt nicht nur für historische Epochen, nicht nur für nicht professionalisierte Vorgänge der Vermittlung, wie sie z.B. in der Familie stattfinden, sondern generell. Das gilt auch für im höchsten Maße reflektierte und konstruierte Vorgänge, wie z.B. Lehrproben im Rahmen der Lehrerausbildung. Auch dort ist der didaktisch reflektierte Anteil gewissermaßen nur die Spitze des Eisbergs.

Abbildung 4:   Anteil didaktisch reflektierter Vermittlung

Die Grafik oben soll das Verhältnis der vorbewussten (1) zu den bewussten und geplanten (2), und schließlich zu den didaktisch reflektierten Vermittlungsprozessen (3) illustrieren. Dabei ist vor allem eines sicher: Der Anteil der reflektierten Prozesse wäre maßstabsgerecht, weil zu selten, kaum abzubilden.

Das bedeutet auch: Erfolgreiche Lern- und Vermittlungsprozesse hängen weder davon ab, dass sich jemand etwas dabei gedacht hat, noch davon, dass sie einer professionellen Metareflexion unterzogen wurden. Aber: Wo es darauf ankommt, einzelne Vorgänge aufeinander abzustimmen, und erst recht, wo Gewohnheiten und Routinen sich als unzureichend erwiesen haben und überwunden werden sollen, kommt die Vermittlung ohne Planung und zumindest rudimentäre didaktische Reflexion nicht aus. Kant formuliert das so:

„Alle Erziehungskunst, die bloß mechanisch (d.h.: ungeplant, Anm. M.F.) entspringt, muß sehr viele Fehler und Mängel in sich tragen, weil sie keinen Plan zum Grunde hat. Die Erziehungskunst oder Pädagogik muß also judiziös werden, wenn sie die menschliche Natur so entwickeln soll, daß sie ihre Bestimmung erreiche.

(…) Der Mechanismus in der Erziehungskunst muß in Wissenschaft verwandelt werden, sonst wird sie nie ein zusammenhängendes Bestreben werden, und eine Generation möchte niederreißen, was die andere schon aufgebaut hätte.“ (1963, S. 14)

So betrachtet ist die Entstehung (und später: die Zunahme) didaktischer Reflexion abhängig von Störungen gewohnheitsmäßiger Vermittlungsprozesse bzw. von der Unzufriedenheit mit ihnen.

Eine der unterhaltendsten Spekulationen über die Entstehung planmäßigen Unterrichts und didaktischer Reflexion findet sich im „Säbelzahncurriculum“ (1974). Dort stellt der fiktive Professor Peddiwell die Entstehung des paläolitischen Curriculums so dar:

„Der erste große Praktiker und Theoretiker in der Erziehung, von dem ich Kenntnis habe (so begann Professor Peddiwell), war ein Mann aus der Altsteinzeit, dessen vollständiger Name Neuer-Faustkeil-Macher war und den ich einfach Neue Faust nenne. (…) Seine Jagdkeulen waren allgemein überlegene Waffen, und seine Techniken beim Gebrauch des Feuers waren beispielhaft in ihrer Einfachheit und Präzision. Er verstand es, Dinge zu tun, die seinem Stamm nützten, und er besaß die Energie und den Willen, sie in Angriff zu nehmen. (…) Dieselbe Intelligenz, die ihn dazu veranlaßte, gesellschaftlich anerkannte Handwerkzeuge zu erfinden und herzustellen, brachte ihn auch dazu, sich im Denken zu üben, was von der Gesellschaft jedoch nicht anerkannt wurde. (…) Er starrte unruhig in das flackernde Feuer und staunte über verschiedene Dinge seiner Umwelt, bis er schließlich völlig unzufrieden wurde mit dem gewohnten Leben seines Stammes. Er begann, sich Gedanken darüber zu machen, wie er das Leben seiner Familie und seines Stammes besser gestalten könnte. So wurde er ein gefährlicher Mann. Das war der Hintergrund, der diesen Tatmenschen und Theoretiker dazu brachte, auf das Konzept einer bewußten, systematischen Erziehung zu stoßen. Den direkten Anstoß, der ihn auf die Erziehungspraxis brachte, erhielt er durch die Beobachtung seiner Kinder beim Spielen.

Er sah seine Kinder vor dem Höhleneingang beim Feuer, beschäftigt mit Knochen, Stöcken und bunten Kieselsteinen. Er bemerkte, daß sie in ihrem Spiel keinen anderen Sinn sahen als das augenblickliche Vergnügen an der...