Engel, Hexen, Wiedertäufer - Historische Geschichten aus dem Münsterland

von: Evelyn Barenbrügge

Waxmann Verlag GmbH, 2013

ISBN: 9783830950769 , 176 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 8,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Engel, Hexen, Wiedertäufer - Historische Geschichten aus dem Münsterland


 

Regine Kölpin

 

Preis der Freiheit

 

 

Münster, 1535

Das Letzte, was Hinrich Krechting sah, war der Sternenhimmel über Münster. Das Letzte, was er roch, war Feuer. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Er erwachte in einem dunklen Raum. Nur durch die Ritzen
eines kleinen, mit Brettern vernagelten Fensters fiel etwas Mondlicht. Krechting lag mit dröhnendem Kopf auf dem Rücken, Füße und Hände waren gefesselt. Dafür, dass in den Straßen vorhin heftige Kämpfe getobt hatten, war es nun außergewöhnlich still. Nur vereinzelt drangen noch Schreie durch die Nacht, galoppierten Reiter durch die Gassen. Weshalb hatte man ihn aus der Wagenburg am Prinzipalmarkt hierher verschleppt?

Beabsichtigte man, ihn hier enden und mitsamt der Vision des Neuen Jerusalems untergehen zu lassen? Wollte man ihm wie seinen Glaubensbrüdern den Kopf von den Schultern säbeln? Oder drohte ihm gar das Schicksal seiner engsten Freunde? Der Täuferkönig Jan van Leiden, Bürgermeister Knipperdolling und Stadtschreiber Bernd Krechting, Hinrichs Bruder, saßen längst im Kerker gefangen und warteten darauf, den Raben zum Fraß vorgeworfen zu werden. Bei diesem Gedanken drohte Krechting innerlich zu zerreißen. Er, der immer glaubte, das Wort Furcht käme in seinem Wortschatz nicht vor, erzitterte nun wie ein räudiger Hund vor der Macht des Bischofs von Waldeck. Seit dieser im September 1532 die Ritterschaft nach Billerbeck eingeladen hatte, um seine Strategie gegen die Täufer auszuhandeln, war selbst Jan van Leiden klar geworden, dass ihre Vorstellung von
einer neuen Welt auf sehr wackeligen Füßen stand. Obwohl er es nie zugegeben hätte: Jan van Leiden, der König der Täufer, glaubte fest daran. Bis zum letzten Atemzug.

Krechting biss die Zähne zusammen. Es konnte und durfte nicht sein, dass er hier verreckte. Er hatte von Gott eine Aufgabe erhalten, hatte dafür sein ganzes Leben verändert, mit Freunden und alten Wertvorstellungen gebrochen. Seine einzige und wahre Lebensaufgabe lautete: Errichte ein Täuferreich, sammle die Gläubigen um dich und kämpfe!

Hinrich zerrte an den Fesseln, doch je heftiger er sich zu befreien versuchte, desto fester zogen sie sich. Er hielt inne, als die Tür aufgestoßen wurde und sich jemand in den Raum schob. Kalte Luft umspülte
seinen Kopf und belebte ihn auf angenehme Weise.

„Wer seid Ihr?“, stieß Hinrich aus.

Der Fremde verharrte einen Augenblick, kehrte dann um und kam kurz darauf mit einer Fackel zurück. Als der Lichtschein das Gesicht des Mannes erhellte, erkannte Krechting, wer da vor ihm stand. „Ihr steckt also dahinter“, quetschte er heraus. „Ihr also!“

Der Mann löste die Fesseln. „Mein Wächter steht draußen, also versucht gar nicht erst, mich zu überwältigen. Es wäre ohnehin sinnlos, Münster ist soeben gefallen.“

Hinrich Krechting rieb sich den Oberarm, der von der einseitigen Haltung schmerzte. „Mein alter Weggefährte Johann von Raesfeld. Wie komme ich zu dieser Ehre?“ Er versuchte so viel Spott in seine Stimme zu legen, wie ihm angesichts seiner Lage möglich war.

Der Oberst musterte Krechting, ohne auf seine Frage einzugehen. „Ihr seid es wirklich. Ich habe mich also nicht getäuscht, als ich euch zu erkennen glaubte. Mein Wächter hat Euch hierher gebracht.“

Krechting hatte sich mittlerweile aufgesetzt und lehnte mit dem Rücken an der Wand. Für mehr fehlte ihm die Kraft. „Was wollt Ihr von mir? Ich wüsste nicht, was uns noch verbindet.“

„Ihr habt Euch auf die falsche Seite geschlagen, Krechting. Wie konntet ihr Euch dieser Sache bloß anschließen? Ein neues Jerusalem!“, stieß von Raesfeld verächtlich aus.

Krechting schwieg. Es war sinnlos, mit dem Oberst zu diskutieren. Ihre alte Freundschaft galt nichts mehr. Sie waren jetzt Feinde, egal, was sie einst miteinander verbunden hatte.

Johann von Raesfeld verzog die Brauen. „Eigentlich müsste ich Euch töten, das wisst Ihr.“

„Und warum habt Ihr es nicht längst getan?“, hielt Krechting entgegen. „Es wäre Euch ein Leichtes gewesen.“

Johann von Raesfeld nickte. „Ich habe Euch am Leben gelassen, obwohl Ihr auf der falschen Seite steht, obwohl es mich meinen Kopf kosten kann, dass Ihr nicht in der Hölle schmort.“ Er lachte bitter auf. „Verzeihung, das Fegefeuer existiert für dich ja nicht … Hinrich.“

Krechting hob die Brauen, weil der Oberst plötzlich zur vertraulichen Anrede übergegangen war, so als versuche er, die alte Verbundenheit wiederherzustellen. Aber sie befanden sich im Krieg, da galten weder persönliche Verstrickungen noch längst verblasste Freundschaften. Welch alte Schuld von Raesfeld auch dazu veranlasst hatte, Hinrich Krechting am Leben zu lassen, es würde an eine Bedingung gekoppelt sein. Krechting würde seine Überzeugungen nicht an einen Papisten verraten. Niemals!

„Du hast mir einst das Leben gerettet“, begann von Raesfeld.

„Damals standen wir beide auf derselben Seite, damals verfolgten wir dieselben Ziele. Jetzt aber …“

„Ich schulde dir ein Leben“, fiel der Oberst ihm ins Wort. „Ein verdammtes Täuferleben.“

Hass tanzte über sein Gesicht. Nach kurzer Zeit hatte von Raesfeld sich jedoch wieder in der Gewalt. „Zehn Goldgulden und zwei Dutzend Mitkämpfer sind mein Angebot. Außerdem kannst du deine Familie und deinen Neffen Wolter Schemering mitnehmen, diesen Mundschenk. Ihr alle erhaltet mit einem bischöflichen Begleitschein freies Geleit aus der Stadt.“

Krechting musterte seinen alten Freund abschätzend. „Um mir ein solches Angebot zu unterbreiten, lasst Ihr mich zusammenschlagen und durch die Stadt schleifen?“ Er spuckte aus. „Ich als Täufer lasse mir bestimmt nicht von einem Mannen des Bischofs zur Flucht verhelfen! Da verrecke ich lieber!“ Krechting war versucht, aufzustehen und dem Oberst mit letzter Kraft die Faust in sein selbstgefällig grinsendes Gesicht zu hämmern.

„Johann von Raesfeld“, hob Krechting an, als die Stille unerträglich zu werden schien. Seine Stimme war eine Spur zu laut, sie klang, als spräche er in ein leeres Fass. „Ihr steht vor dem Kanzler Jan van Leidens. Ihr habt meine Glaubensbrüder abschlachten lassen, Ihr habt den Mann, den wir als unseren König erachten, gefangen genommen und werdet ihn töten. Euer Anliegen ist respektlos.“

„Es ist die einzige Möglichkeit für Euch, Münster zu verlassen. Die wirklich einzige“, entgegnete der Oberst.

Krechting schluckte. Johann von Raesfeld hatte recht, ob es ihm gefiel oder nicht. „Wie hoch ist der Preis? Was ich einst für Euch getan habe, kann Euch nicht reichen“, flüsterte er. „Solchen Edelmut habt Ihr nicht.“

Johann von Raesfeld zerrte kommentarlos eine Schriftrolle aus der Weite seines Ärmels, an dem noch das Blut von Krechtings Glaubensbrüdern klebte. Angewidert wandte Krechting sich ab, als der Oberst ihm das Papier vors Gesicht hielt. „Das ist die Bedingung. Diese Epistel musst du in Billerbeck auf der Wasserburg Hameren meiner Familie übergeben.“

Krechting griff hastig nach dem Papier, während von Raesfeld weitersprach. „Ich brauche Verstärkung, denn wir werden weiter auf Widerstand stoßen. Wir sind am Ende unserer Kräfte.“

Hinrichs Stimme zitterte, die Papierrolle in seiner Hand vibrierte. „Wenn ich das tue, verrate ich meine Brüder und Schwestern, die das Gemetzel Eurer Truppen überlebt haben.“

„Du rettest Weib und Kind“, erwiderte von Raesfeld. „Und zwei Dutzend weitere Menschen. Deine Flucht ermöglicht dir viel. Von Billerbeck aus kannst du weiter ins Emsland reisen oder gar ins sichere Ostfriesland. Wolter Schemering hat Verbindungen in die Herrlichkeit Gödens.“

Krechting warf das Schriftstück auf den Boden, schlug die Hände vors Gesicht und krallte die Fingerkuppen in den Haaransatz. „Nein!“ Er reckte von Raesfeld den Hals entgegen. „Los, schlag mir den Kopf ab! Ich verrate meine Brüder nicht! Niemals!“

Johann von Raesfeld bückte sich, hob das Papier auf und rollte es wieder ein. „Hinrich, das Schicksal Münsters und das deiner Brüder und Schwestern ist bereits besiegelt. Egal, was du tust.“ Er stieß die Tür auf. Wieder ergoss sich ein Schwall kalter Luft in den Raum. Draußen war es beängstigend still geworden. „Die Schlacht ist entschieden. Sieh zu, dass du die Stadt verlässt! Hier kann dir und deiner Familie niemand mehr helfen!“

Krechtings Haltung hatte sich nicht verändert. Er hielt die Augen geschlossen, dachte an das Blut, das den Prinzipalmarkt rot gefärbt hatte. Er erinnerte sich an die Schreie seiner Glaubensbrüder, die nun vollends verstummt waren. Die Stille im Raum war fast unerträglich. Hinrich Krechting, der Kanzler des Täuferkönigs, war der Willkür seines alten Freundes ausgeliefert.

„Ihr habt gewusst, dass ich nicht ablehnen kann“, stieß Krechting schließlich hervor. Er schob die Schriftrolle in seinen Ärmel, als von Raesfeld sie ihm zum zweiten Mal reichte. Sie schien sich in seine Haut zu brennen. „Wann können wir die Stadt verlassen?“, fragte er mit gesenktem Kopf und hasste sich für diese demütigende Geste.

„Morgen früh, sobald die Sonne aufgeht. Sollte das Papier bis zur Dämmerung nicht in Billerbeck angekommen sein, werden wir euch finden, dessen sei gewiss.“ Damit empfahl sich von Raesfeld.

 

Als Krechting mit seinem kleinen Tross die Stadt verließ, war es ihm, als verliere er alles, was ihm bislang wichtig gewesen war. Er verließ die Menschen, die ihm am nächsten gestanden hatten und die...